In diversen Reiseberichten wird eine Tempelübernachtung in Koyasan empfohlen. Diese muß man in der Regel Wochen oder Monate im voraus buchen, da eine starke Nachfrage herrscht und das Angebot begrenzt ist. Zufälligerweise gab es kurzfristig ein freies Zimmer und so entschieden wir uns spontan zu einem Ausflug nach Koyasan.
Koyasan ist ein kleiner Ort, aber auch eine Gruppe von Bergen in der Präfektur Wakayama südlich von Osaka. Es ist einer der heiligsten Orte Japans, denn dort ist der Ursprung des Shingon-Buddhismus sowie der erste in Japan errichtete buddhistische Tempel. Der Legende nach beschloß der junge Adlige Kukai nach seiner höfischen Ausbildung, Mönch zu werden. Er reiste nach China und brachte den Buddhismus von dort nach Japan. Er gründete ein Eremitenkloster in Koyasan, erhielt den Titel Kobo Daishi (Meister der Lehrverbreitung) und gewann so viele Anhänger, dass in Hochzeiten 2.000 Tempel in Koyasan bestanden. Einige brannte ab, andere wurden zusammengelegt und heute beträgt die Zahl der Tempel „nur“ noch 170.
Kobo Daishi beschloß im Jahr 836, sich in die ewige Meditiation zu begeben, ging in den Zedernwald und ward nie mehr gesehen. In diesem Zedernwald befindet sich heute der berühmteste Friedhof Japans, der Okonuo-in. Zweimal am Tag bringen die Mönche Kobo Daishi Essen, denn sie sind der tiefen Überzeugung, dass ihr Meister nicht tot ist.
Der Shingon-Buddhismus beruht auf Meditation und dadurch das Erlangen von Erleuchtung, die grundsätzlich von jedem Einzelnen erlangt werden kann.
Am Dienstag, den 7. Mai machen wir uns auf den Weg nach Koyasan. Per Schnellzug, Zug, schließlich per Zahnradbahn und dann per Bus gelangen wir nach Koyasan zu unserer Tempelunterkunft, dem Eko-in.




Wie immer werden erste die Schuhe ausgezogen und nach dem Check-In erklärt ein Mönch uns die Verhaltensregeln und zeigt uns unser Zimmer. Es ist sehr traditionell, was ungefähr gleichzusetzen ist mit spartanisch. Öffnet man die falsche Schiebetür, steht man im Zimmer des Nachbarn. Privatsphäre (zumindest akustisch) ist also eher eingeschränkt.



Bis zur Meditation bleibt noch Zeit und die vertreiben wir uns im On-sen, also im Bad. Im Vorraum des Bades entledigt man sich aller Kleidung (natürlich Männer und Frauen getrennt). Dann setzt man sich auf einen kleinen Schemel und wäscht sich ab. Danach gleitet man in das warme Wasser und bleibt dort nur einige Minuten, bevor man sich wieder komplett abwäscht. Seife, Shampoo und Conditioner stehen überall bereit und das warme Wasser ist herrlich.
Wieder angezogen geht es in die Meditationshalle. Gar nicht so leicht, als Ungeübter eine Sitzposition zu finden, in der man es 30 Minuten aushält. Ein Mönch erklärt nochmals die Vorgehensweise: 3x tief durch die Nase einatmen, durch den Mund aus. Danach nur noch durch die Nase atmen und bei jedem Atemzug bis 10 zählen – an nichts sonst denken, nichts anderes zählen. Nach 25 Minuten ist mein linkes Bein taub und mein einziger Gedanke, wie ich jemals wieder von meinem Sitzpuff hochkomme. Da ist wohl noch einige Übung auf dem Weg zur Erleuchtung erforderlich….

Im Zimmer angekommen wird das Essen serviert: In Koyasan gibt es ausschließlich die Shojin-ryori Küche, eine rein vegetarische Form der japanischen Kaiseki-Küche. Jede Mahlzeit besteht aus den 5 Geschmacksrichtungen salzig, süß, sauer, scharf und bitter, den 5 Zubereitungsarten roh, gedämpft, gekocht, frittiert und gegrillt sowie aus 5 Farben.
Was wir gegessen haben? Größtenteils keine Ahnung. Auf den Fall Koya Dofu (gefriergetrockneter Tofu) und Goma Dofu (Tofu mit geröstetem und gemahlenem Sesam), Gemüse-Tempura und Mangold. Den Rest können wir nicht mal erraten, einige glibberige Scheiben erkennt mein Google Lens als Paste aus der Konjak-Wurzel.

Um 19 Uhr treffen wir uns in einer Gruppe vor dem Tempel zum gemeinsamen Friedhofsbesuch. Es ist mittlerweile ziemlich dunkel und schon eigenartig, einen von Laternen gesäumten Pfad durch einen Wald zu marschieren, bei dem sich rechts und links unzählige Grabmäler zwischen den Bäumen verlieren (insg. mehr als 200.000). Am Ende des 2 km langen Weges befindet sich der Tempel der 1000 Laternen, die allesamt leuchten und eine sehr mystische Stimmung erzeugen. Daneben ein Schrein und ein hölzernes Tor, hinter dem Kobo Daishi vor mehr als 1.200 Jahren verschwunden ist und das seitdem nie mehr geöffnet wurde.
Es ist eine ruhige, respektvolle Stimmung, aber keineswegs bedrückend oder gar traurig. Dazu tragen auch die vielen freundlich aussehenden Buddha-Figuren bei. Ein traditionelles Grabmal besteht aus 5 Formen, die von unten nach oben Grund, Wasser, Feuer, Wind und Raum symbolisieren. Dazu kommt noch ein 6. Element, das nicht abgebildet wird: das Bewusstsein.




Wieder im Zimmer unserer Herberge angekommen, sind unsere Betten schon aufgebaut und wir schlüpfen in die bereitliegende Yukata (so eine Art Hausmantel), bevor wir uns zur Ruhe begeben.


Der Mittwochmorgen startet mit Zähneputzen im Gemeinschaftsbad, bevor im Haupttempel das Morgenritual beginnt, eine Andacht zu Ehren der Vorfahren. Gädigerweise beginnt die Zeremonie erst um 7 Uhr. Danach geht es in einen kleinen Nebentempel, wo jeden Morgen ein Feuerritual veranstaltet wird. Gegen eine geringen Gebühr kann man seinen Wunsch auf eine Holztafel schreiben, die im Rahmen des Rituals von einem Mönch betend verbrannt wird.


Zurück im Zimmer ist das Bett schon abgebaut und das Frühstück serviert. Und hier sträubt sich mein Magen, nichts geht mehr. Die Sojasprossen und die Miso-Suppe mit Seegras sind ja noch ok, aber als ich mit meinem Essstäbchen in einen braunen Rundling piekse und eine glibbrige Masse hervorquillt, ist das Frühstück für mich erledigt und ich wünsche mir heiß und innig eine Tasse Milchkaffee und eine Butterbreze…


Wir checken aus und laufen noch einmal bei Tageslicht über den Friedhof, wo wir die Firmengräber (bspw. von Nissan) entdecken.



Und dann geht es auch schon wieder mit Bus, Zahnrad und Zug zurück und wir fahren zu unserer letzten Station in Japan, der Stadt Osaka.